Der I2t-Wert in Theorie und Praxis (betonung)
Der I2t-Wert in Theorie und Praxis (betonung2)
Der I2t-Wert in Theorie und Praxis (betonung3)
Ein elektrischer Kurzschluss erzeugt eine nahezu widerstandslose Verbindung zwischen den beiden Polen einer Spannungsquelle. Diese ermöglicht einen hohen Stromfluss, der ein Vielfaches des Nennstroms der Sicherung beträgt. Dieser hohe Strom kommt durch den geringen ohmschen Widerstand zustande.
Der maximal zu erwartende Kurzschlussstrom ist abhängig von der Netzimpedanz des Stromnetzes und dessen Nennspannung. Bei Hausinstallationsnetzen liegt dieser bei etwa 500 A bis 3000 A. Bei fehlender Begrenzung des Kurzschlussstroms kann es zu Schäden durch Überhitzung im Leitungsverlauf bzw. der Schaltanlagen führen, wenn diese nicht durch den Querschnitt der Kabel angepassten Sicherungen geschützt sind.
Zur Verhinderung der Folgen von Kurzschlüssen setzt man u.a. Schmelzsicherungen verschiedener Charakteristiken ein. Diese müssen beim Auftreten eines Kurzschlussstroms "durchbrennen" und dabei die Kurzschlussstelle schnellstens vom übrigen Versorgungsnetz trennen. Das Abschalten muss, abhängig von der Anlage, sehr schnell erfolgen (ms-Bereich), je nach Charakteristik des Anwendungsbereiches (Hausinstallation, Steuerungsschutz u.a.) sind diese verschieden.
Allgemeine Theorie
Neben den Angaben zum Nennstrom dem Ausschaltvermögen und der Zeit-Strom-Charakteristik einer Schmelzsicherung ist ihr I2t-Wert einer der wichtigsten Werte.
Der, bei Schmelzsicherungen auch „Schmelzintegral“ genannte I2t-Wert, ist z. B. beim Schutz von Halbleiter von besonderer Bedeutung. Er wird auf das „Grenzlastintegral“ von Halbleitern abgestimmt.
Die in Wärme umsetzbare Energie eines Strompulses ist das Produkt aus el. Leistung über der Zeit.
W= P·t -> W= R·I2·t
Bei einer adiabatischen Belastung wird von einem konstanten Widerstand R ausgegangen. (Die adiabatische Erwärmung bedeutet, dass die im Schmelzleiter erzeugte Erwärmung während der Zeit t ohne Wärmeverluste im Schmelzleiter verbleibt.) Die Integration des Stroms I2 über der Zeit t ergibt dann die Energie des Strompulses.
W=∫I2dt [A2s]
In der Praxis kann der I2t-Wert verschiedene Bedeutungen haben.
Bezogen auf (Leistungs-) Halbleiter gibt er als „Grenzlastintegral“ die maximale Impulsfestigkeit an die bei Überschreitung den Halbleiter zerstört.
„Das Grenzlastintegral i2t ist bei der Verwendung von Dioden bekannt. Dieses drückt aus, wie groß die maximale Strom-Zeit-Fläche sein darf, bis es zu einem sogenannten Durchbruch kommt und die Diode durch den eintretenden Lawineneffekt zerstört wird.“
(Quelle: Dissertation „Ein Beitrag zum Kurzschlussverhalten hochsperrender IGBTs und Dioden“, Steffen Pierstorf, Nürnberg, 01.04.2015)
Es gilt daher: Schmelzintegral < Grenzlastintegral !
Soweit so einfach - auf den ersten Blick.
Um das Schmelzintegral der Sicherung optimal auf das Grenzlastintegral eines Halbleiters abzustimmen, ist zum besseren Verständnis des I2t-Werts leider etwas Theorie notwendig.
Ursprung und Bedeutung des I2t-Werts
Der I2t-Wert einer Sicherung gibt an welche Energie bzw. Wärmemenge notwendig ist um das Material des Schmelzleiters einer Sicherung zu schmelzen bzw zu verdampfen.
Als solcher ist er ein rein material bezogener Wert der unabhängig von der Bauform der Sicherungen ist, da im adiabatischem Bereich der Zeit-Strom-Kennlinie mögliche Wärmeverluste ausgeschlossen sind.
Das materialbezogene Schmelzintegral ist ein theoretischer Wert, der sich aus den Materialkonstanten berechnen lässt.
Spezifischer elektr. Widerstand bei 20°C ρ0
Spezifischer elektr. Widerstand beim Schmelzpunkt ρ1
Spezifischer elektr. Widerstand im flüssigen Zustand ρ2
dem Temperaturkoeffizienten des festen Materials α
dem Temperaturkoeffizienten des flüssigen Materials β
der spez. Wärme der Volumeneinheit γ
der Schmelzwärme der Volumeneinheit h
der Schmelztemperatur ϑm
der Verdampfungstemperatur ϑv
ϑm- ϑv
Mit den Materialeigenschaften lässt sich z. B. die notwendige Energie der ersten Erwärmungsphase bis zur Schmelze berechnen
∫I2dt = γρ-1α-1 ln(1+ αϑm)
(Quelle: Dipl.Ing. Hans F. Borchart – Firmenschrift Wickmann)
Die Formel gilt nach Borchart nur für die adiabatische Erwärmung. Wärmeverluste sind nicht berücksichtigt.
Als materialspezifische Konstante C leitet Borchart daraus folgend die Definition ab:
I2t = C r4
Er bezieht sich dabei auf eine, bereits 1906 von G. J. Meyer eingeführte Materialkonstante A.
Der in der Literatur häufig als „Meyer-Konstante“ bezeichnete Wert k ist mit der Materialkonstante C (Borchart) bzw A (Meyer) jedoch nicht gleich zu setzen:
„Die Konstante k welche im folgenden der Einfachheit halber Ventilationskonstante genannt wird, besteht eigentlich aus dem Produkt zweier Konstanten, von denen die eine von der Konstruktion der Sicherung von der Stellung des `Streifens` (Schmelzleiter anm. des Autors), ob horizontal oder Vertikal, sowie von den Ventilationsverhältnissen überhaupt abhängt, während die andere durch das Material des Streifens, seine Schmelztemperatur und Oberflächenbeschaffenheit, sowie auch in einem gewissen Grade die Oberflächenbeschaffenheit (Reflektionsvermögen) der bestrahlten Teile bedingt ist.“
(Quelle: Dr. Ing Georg J. Meyer, Zur Theorie der Abschmelzsicherung, 1906)
Bei der Berechnung der Schmelzzeit definiert Meyer für den Kurzschluss die Wärmebilanz Wärmezufuhr=Wärmeaufnahme
sI2k = const. = θ
(Dr. Ing Georg J. Meyer, Zur Theorie der Abschmelzsicherung, 1906)
wobei „s“ für die Zeit in Sekunden steht. Nach heutiger Schreibweise also als I2t=const. In der Literatur wird dies häufig als „Meyerkonstante“ bezeichnet. Der Autor des Buches „Elektrische Schmelzsicherungen für Niederspannung“ Dr. phil Hans Johann nutzt für die adiabatische Erwärmung z. B. die Bezeichnung K
∫I2dt = K = const.
Der I2t-Wert ist in der Literatur häufig aber lediglich der Teilaspekt einer komplexeren Berechnung von Zeit-Strom-Kennlinien. Seine heutige Bedeutung steht daher nicht so sehr im Fokus der Arbeiten.
Wichtig für die Nutzung ist aber folgende Festlegung:
In der adiabatischen Erwärmung, bei Wärmezufuhr=Wärmeaufnahme gilt
I2t = Konstant
Wie der I2t-Wert einer Schmelzsicherung ermittelt wird, wird jedoch wichtig, wenn er für den Schutz eines Halbleiters benötigt wird.
Der I2t-Wert in der Praxis
In den Datenblättern der Diode werden meistens nur für 2 Zeitwerte (0,1ms und 10ms) die Grenzwerte angegeben. Die Zeitwerte liegen aber weit über der Kurzschlussfestigkeit des IGBTs und dementsprechend fehlen für einen Kurzschluss von tp = 10µs Grenzwerte. Die Abbildung 3.12 gibt einen typischen Verlauf des Grenzlastintegrals wieder. Die Ausfallmechanismen sind dieselben wie im vorherigen Kapitel 3.1.4. IF(SM) ∫i²dt 0.1ms 1.0 ms Pulsdauer 10.0 ms Abbildung 3.12: Strombelastung in Abhängigkeit von der Impulsdauer [83]
(Dissertation „Ein Beitrag zum Kurzschlussverhalten hochsperrender IGBTs und Dioden“, Steffen Pierstorf, Nürnberg, 01.04.2015)
In welchem adiabatischen Bereich einer Zeit-Strom-Kennlinie der I2It-Wert ermittelt wurde, ist den Datenblättern der Schmelzsicherungen i. d. R. nicht angegeben. Es wird im Allgemeinen davon ausgegangen, dass er für Schmelzsicherungen mit flinker Charakteristik bei einer Abschaltzeiten von t<5 ms ausgewertet wird.
Wann bei Schmelzsicherungen mit träger Charakteristik der adiabatische Bereich sicher erreicht ist kann im Einzelfall, je nach Schmelzleiter, sehr unterschiedlich sein. Zudem sind die Messbedingungen meist nicht bekannt.
Es gibt aber eine relativ einfache Möglichkeit den adiabatischen Bereich einer Zeit-Strom-Kennlinie zu bestimmen, die häufig von den Herstellern genutzt wird aber auch in der Praxis vom Anwender machbar ist:
Die grafische Bestimmung aus der Zeit-Strom-Kennlinie!
Wann eine ausgewählte Geräteschutzsicherung in den adiabatischen Bereich der Zeit-Strom-Kennlinie kommt lässt sich mit Hilfe der t-I-Kennliniendarstellung abschätzen.
Die Kennlinie einer GS-Sicherung (GS-Sicherung = Geräte-Schutz-Sicherung) wird i.d.R. durch Punkte P(t,I) oder als Graph dargestellt. Die Achsen t und I sind dabei logarithmisch skaliert und mit einem Dekaden-Verhältnis von
log(t): log(I) = 2:1 ausgeführt.
Dieses von der Norm (IEC 127-1/1999-9.2.4) vorgegebene Achsenverhältnis ermöglicht es dem Entwicklungsingenieur mit einem einfachen grafischen Verfahren zusätzliche Informationen über die Lage des adiabatischen Bereichs der t-I-Kennlinie einer Sicherung zu bekommen.
Verbindet man nämlich die Achsen-Punkte 2 Dekaden t und 1 Dekade I erhält man eine 45° Gerade die den spezifischen Bereich I2t = konst und damit den adiabatischen Bereich anzeigt. Verschiebt man diese Gerade parallel bis an die gegebene t-I-Kennlinie wird sichtbar, wann die Kennlinie der gegebenen Sicherung den adiabatischen Bereich erreicht und damit den Geltungsbereich des I2t-Werts.
Belastungs- bzw Abschaltzeiten, die oberhalb dieser Linie liegen, ergeben zwar einen hohen I2t-Wert, der aber auf Grund der Wärmeverluste an die Umgebung für die zu treffende Auswahl nicht relevant ist. Belastungswerte unterhalb der Linie haben einen zu geringen I2t-Wert und führen daher nicht unmittelbar zum Abschalten der Sicherung.
Im oben gezeigten Beispiel einer flinken GS-Sicherung wird z.B. der adiabatische Bereich bereits bei t ≈ 100ms erreicht.
Bei trägen GS-Sicherungen ergibt sich jedoch ein anderes Bild. Die folgende Kennliniendarstellung macht deutlich, dass die Kennlinie einer trägen GS-Sicherung den adiabatischen I2t = konst-Bereich erst bei rel. kurzen Abschaltzeiten mit t<10ms erreicht. Mit zunehmender Belastungszeit wird die Kennlinie mehr durch die Wärmeverluste der GS-Sicherung an die Umgebung dominiert.
In diesem Beispiel sollte der I2t-Wert erst bei einer Abschaltzeit t<5 ms oder besser bei t<2 ms ermittelt werden.
Bei der Anwendung dieser grafischen Methode sollte aber bedacht werden, dass die Zeit-Strom-Kennlinien bei Sicherungen träger Charakteristik typabhängig sehr unterschiedlich verlaufen können. Zudem sind es in der Regel Mittelwert-Kennlinien.
Um notwendige zusätzliche Informationen zu erhalten sind also besonders bei „trägen Sicherungen“ Rückfragen beim Sicherungshersteller sinnvoll.