Eine Einführung in die Technik der Schmelzsicherungen
Nach einer Begriffsdefinition der Gerätesicherungsnorm IEC 60127 wird eine Sicherung als eine Schaltvorrichtung beschrieben, zu der die Elemente Sicherungshalter und Sicherungseinsatz (mit Schmelzelement) gehören. Der Sicherungseinsatz kann nach einem Ansprechen im Fehlerfall, soweit möglich, ausgetauscht werden.
Die Eigenschaften des Sicherungseinsatzes werden durch Spezifikationen oder Normen beschrieben bzw. definiert und in Datenblätter dokumentiert. Darüber hinaus informieren Sicherungshersteller in z.T. umfangreichen Schriften über Theorie und Anwendung der Schmelzsicherungen.
Ein zentrales Element der meisten Datenblätter ist die Darstellung der Zeit-Strom-Kennlinie (auch Abschaltkennlinie oder kurz t-I-Kennlinie genannt). Sie lässt am deutlichsten erkennen, welche Bedeutung dem Schmelzelement (Schmelzleiter) zukommt. Mit der t-I-Kennlinie werden bereits viele wichtige Eigenschaften des Sicherungseinsatzes beschrieben.
Dabei werden im Kurzzeitbereich grundsätzlich die 5 Bereiche der Charakteristik TT, T, M, F und FF der Ausschaltkennlinie unterschieden:
Um Schmelzelemente für die verschiedenen Kennlinienarten zu entwickeln, werden besonders geeignete Drähte aus unterschiedlichen Materialien oder Materialkombinationen und hoher Präzision benötigt. Ein Draht aus dem Baumarkt reicht da in der Regel nicht aus.
Die Zeit-Strom-Kennlinie
Eine t-I-Kennlinie wird meist als „Mittelwert-Kennlinie“ der reinen Schmelzzeiten (ohne Lichtbogen) ermittelt und als Diagramm mit log. Achsen-Skalierung dargestellt. In der Regel wird der Zeitbereich von 0,001 [S] bis 10.000 [s] auf der Y-Achse und der Belastungsstrom entweder als Analogwert I[A] (z.B. bei Kurvenscharen] oder als Vielfaches des Nennstromes [I/IN] auf der X-Achse dargestellt. Die Darstellung als „tmin-tmax-Hüllkurve“ wie z.B. in Bild 3 und 4 gezeigt, gibt auch Auskunft über die erlaubte Streuung der Abschaltzeiten bei einem gegebenem Überlaststrom.
Die Kennlinie informiert jedoch nicht nur über Abschaltzeiten, die sich bei den jeweiligen Strombelastungen der Sicherung ergeben. Sie ist darüber hinaus aber auch Grundlage für viele numerischen Angaben des Datenblatts.
Die Kreation einer t-I-Kennlinie
Die im folgenden dargestellten Kennlinien zeigen die verschiedenen Einflüsse des Schmelzleitermaterials auf verschiedene Bereiche der Kennlinie (Bild 3, 4). Bereiche, die auch die Basis für die im Datenblatt angegebenen Funktionswerte sind. Beide im folgenden gezeigten Kennlinien zusammengenommen, machen die Zusammenhänge von Materialeigenschaften und Sicherungsfunktionen deutlich.
Um die geforderten Eigenschaften für einen bestimmten Typ eines Sicherungseinsatzes zu realisieren, wählt der Entwicklungsingenieur bei dem Design einer Sicherung Geometrie und Material des Schmelzelements aus. Während die Länge des Schmelzelements durch die Art des Gehäuses i.d.R. begrenzt ist, wird das Material nach dessen physikalischen Eigenschaften ausgewählt. Dabei spielen nicht nur Durchmesser und Volumen, sondern auch die spezifischen Eigenschaften des Materials, wie z.B. Widerstand, Schmelzpunkt, Wärmeleitung und Wärmekapazität und einiges mehr, eine wichtige Rolle.
Die folgende Darstellung in Bild 3 zeigt eine Auswahl von Materialeigenschaften, die sich auf unterschiedliche Bereich der Kennlinie auswirken:
Der Einfluss der Materialeigenschaften ist zwar grundsätzlich auf der vollständige Kennlinie gegeben, aber die gekennzeichneten Bereiche sind die dominanten Bereiche aus denen sich Datenblattangaben ableiten lassen.
Diese komplexen Zusammenhänge sind bei der Entwicklung eines Sicherungseinsatzes zu berücksichtigen und es erfordert sehr viel Erfahrung und Kenntnis der Grundlagen. So hat jeder Sicherungstyp fast individuelle Eigenschaften, die ihn quasi unverwechselbar machen.
Die Informationen einer t-I-Kennlinie für die Praxis
Der Ingenieur in der Geräte- und Elektronikentwicklung wählt aus den Datenblättern verschiedener Typen die Gerätesicherung aus, deren Eigenschaften den besten Schutz für seine Elektronik bieten. Dabei sind für ihn die Materialeigenschaften, von Ausnahmen abgesehen, weniger relevant. Für die Funktion der Sicherung in der vorgesehenen Applikation sind die im Datenblatt dokumentierten Funktionsdaten ausschlaggebend.
Ähnlich wie bei der materialbezogenen Kennlinie dient hier die Zuordnung verschiedener, im Datenblatt dokumentierter Eigenschaften nur der allgemeinen Orientierung. Aber die offensichtliche Korrelation der Bereiche beider Kennliniendarstellungen macht den Zusammenhang von verwendetem Schmelzleitermaterial und Sicherungsfunktion erkennbar. (Die Angabe der bauformabhängigen Bemessungsspannung (Nennspannung) ist hier leider keinem Kennlinienbereich zuzuordnen.)
Der Entwickler eines Gerätes oder einer Elektronik muss bei der Auswahl der Sicherung auf bestimmte Eigenschaften und Funktionen der Sicherung besonders achten um einen optimalen Schutz für seine Elektronik zu erreichen.
Daraus folgt, dass der Techniker vor Ort, der einen Sicherungseinsatz austauschen muss, nur den gleichen Sicherungs-Typ verwenden darf also nur einen 1:1 Austausch vornehmen darf.
Die meisten Werte im Datenblatt sind physikalisch determiniert. Der I2t-Wert (Schmelzintegral) ergibt sich z.B. aus dem Schmelzleitermaterial und dessen Abmessung. Oder das Ausschaltvermögen, welches im Wesentlichen durch die Bauform und ggf. einer lichtbogenlöschenden Füllung bestimmt wird.
Andere Angaben, wie der Nennstrom (IN) oder die Angabe einer Ausschalt-Charakteristik z.B. Flink (F) oder Träge (T) sind in der Regel durch eine zugrundeliegende Norm oder eine Spezifikation des Herstellers definiert.
Dabei weisen Normen oder Spezifikationen zum Teil deutliche Unterschiede auf wie die folgenden Ausführungen zeigen.
Der Nennstrom (Bemessungsstrom)
Neben den umfangreichen Datenblattangaben ist der Nennstrom vermutlich der bekannteste und der häufigste verwendete Wert. Gerade der Nennstrom ist aber ein Wert der einer t-I-Kennlinie nicht so eindeutig entnommen werden kann.
Auch wenn sich die Nennstromdefinition dem Überstrombereich zuordnen lässt ist der Nennstrom bei einer Kennliniendarstellung „t über I“ nur mit sehr viel Erfahrung einer Kennlinie zu entnehmen. Die im Langzeitbereich fast senkrecht verlaufende Kennlinie bedeutet nicht, dass hier der Nennstrom oder gar eine Dauerbelastung* angegeben ist. ( *Von den meisten Herstellern wird eine Dauerbelastung von ≈ 0,7*IN empfohlen).
Der, vor allem bei genormten Sicherungstypen zugelassenen t-I-Streubereiche der Kennlinie, macht ein genaues Ablesen des Nennstromes aus der Kennlinie sehr schwierig.
Jede Schmelz-Sicherung hat einen maximalen Strom den sie, entsprechen der obersten Zeitgrenze, eine mindest Zeit halten muss und einen minimalen Strom den sie in einer definierten Zeit abschalten muss. Diese beiden Werte werden u.A. in einer Norm (oder Spezifikation) vorgegeben. Leider sind diesbezüglich nicht alle Normen gleich. Wie das folgende Bild zeigt geben die am häufigsten verwendeten Normen, die amerikanische UL (underwriters laboratories) und die europäische IEC (International Electrotechnical Commission) unterschiedliche Bereiche bzw. Werte vor.
Die Nennstromangabe von z.B. 1,0A nach IEC-Norm wäre nach der UL-Norm ungefähr eine 1,4A. Das legt die Möglichkeit einer Umrechnung nahe. Bekannt ist die Formel “ IratSiche (IEC) x 1,35 = IratSiche (UL)“. Sie ergibt einen Näherungswert, der aber nicht universell anwendbar ist da es für unterschiedliche Sicherungstypen, z.B. flinke- oder träge Kennlinien, unterschiedliche Grenzwerte für die Nennstrombestimmung gibt. Die Formel ist daher nur mit Vorsicht zu verwenden.
Der Nennstromwert wird in den Herstellerlaboren in einer, von der jeweiligen Norm vorgegebenen, Halterungen zum Teil aufwendig geprüft und bestimmt.
Die Art der Charakteristik der Kennlinie ist ebenfalls durch verschiedene Normblätter vorgegeben z.B. UL 248-14 und IEC 60127-2 (Bild 5).
Die jeweilige Kennzeichnung des Sicherungseinsatzes lässt bereits einige Rückschlüsse auf die Art der Sicherung zu. Sofern ausreichend Platz ist werden z.B. bei 5mm * 20mm Sicherungen Informationen zum Hersteller, t-I-Charakteristik, Nennspannung (AC/DC), Ausschaltvermögen, Nennstrom und ggf Prüfzeichen auf den Kontaktkappen aufgebracht.
Gerätesicherungen ohne Halter
Kleinstsicherungen mit Nennspannungen von z.B. UN ≤ 125 V oder mit einer Abmessung < 10 mm haben oftmals nur wenig Platz für Kennzeichnungen und sind daher nur mit dem zugehörigen Datenblatt ausreichend identifizierbar. Diese Angaben zum Typ können dann aus Platzgründen nur fragmentarisch aufgebracht werden. Häufig wird zumindest der Nennstrom der Sicherung aufgebracht. Für den Austausch einer Sicherung wäre dann, zusammen mit dem Datenblatt, eine geeignete Sicherung bestimmbar.
Aber: Sicherungstypen, die direkt auf das Board gelötet werden, sind genau genommen, nicht für den Austausch vorgesehen.
So kann ein nicht optimal abgestimmter Einlötvorgang wichtige Eigenschaften der Sicherung (z.B. den Nennstrom oder die Charakteristik) verändern. Die Auswirkung solcher Veränderungen können bei einem komplexen Bauteil wie die Sicherung vom Frühausfall bis zum Sicherheitsfehler reichen.
Die im Bild gezeigten Chipsicherungen sind nur ein Beispiel für eine Vielzahl von Kleinstsicherungen (miniature fuse) bei denen eine ausführliche Kennzeichnung nicht möglich ist.
Steht in einem solchen Fall kein Datenblatt zur Verfügung bleibt zur Klärung nur die Rückfrage beim Hersteller.
Beratung durch den Sicherungshersteller
Sicherungen bzw. Sicherungseinsätze sind in der Regel für bestimmte Einsatzgebiete oder Anwendungen designt. Zur Sicherstellung aller Eigenschaften werden daher alle Funktionen nach Norm oder Spezifikation geprüft.
Daraus resultierend werden häufig auch Approbationen und Prüfzeichen, wie die in den Datenblättern ausgewiesenen, angestrebt z.B. nach IEC- oder UL-Norm (S, VDE, UL, CSA, ...).
Approbationen und Prüfzeichen sind Gegenstand der Prüfplanung und der Prüfung durch die Qualitätssicherung.
Ein Betrieb des Sicherungseinsatzes mit darüber hinausgehenden oder abweichenden Anforderungen sollte immer in einer Beratung durch einen Fachmann i.d.R. durch den Sicherungshersteller geklärt werden.