Während das Gefährdungspotenzial einer Sicherung, bedingt durch Widerstandsänderung, Schaltvermögen und Pulsbelastung, bei Anwendern weitgehend unbekannt ist, wird das Verhalten einer Sicherung bei geringer Überlast von Anwendern oft nachgefragt und der unzureichende Schutz damit beklagt.
Wie sich Geräteschutzsicherungen in der Praxis verhalten.pdf - "Elektronikpraxis" 15/2019;860.36 KB
Die Unterstellung ist naheliegend, dass überwiegend durch Interessen der Hersteller gefilterte Informationen oder - auf der Seite der Anwender - fehlende Kenntnis der Sicherungsfunktionen oder einfach nur durch Desinteresse am "billig-Bauteil" Sicherung oft schwerwiegende Folgen resultieren. Eine Auswertung der Brandstatistik des IFS * weist jährliche Brandschäden von etwa 3 Milliarden € mit 600 Toten durch Wohnungsbrände aus deren Ursache mit ca. 36 % ein defektes Gerät der Unterhaltungselektronik ist. Ohne Sicherungen wäre der Schaden sicher größer. Mit einer fachgerecht ausgesuchten Sicherung wäre er wahrscheinlich kleiner. Die Betrachtungen auf dieser Seite haben bisher viele Möglichkeiten aufgezeigt, für eine Applikation eine ungeeignete Sicherung auszuwählen.
Die größte Gefährdung aber geht von einem Betrieb der Sicherung im Überlastbereich der Strom-Zeit-Kennlinie aus. Bei einer Belastung der Sicherung im Bereich von etwa 70 % oder 100 % (je nach Norm) ihres Nennstroms bis ca. 250 % des Nennstroms - im Überstrombereich von 0,7*IN bis etwa 2,1*IN ist ihr Verhalten weitgehend undefiniert und starken Streuungen durch Exemplar- + Chargenstreuung unterworfen. Die folgende Darstellung der Strom-Zeit-Kennlinie zeigt die Abschaltzeit über dem Strom aufgetragen.
Sie ist in drei Bereiche unterteilt, dessen Erster hier näher betrachtet werden soll. Der Überstrombereich (Bereich 1 und z.T. noch 2) lässt das sichere Gefühl aufkommen, dass bereits ein geringer Fehlerstrom sicher abgeschaltet wird. Das täuscht (meiner Meinung nach) in unverantwortlicher Weise. Wird nämlich der Nennstrom der Sicherung mit eingezeichnet, wird das Gefahrenpotenzial deutlich (rote Linie).
Bedenkt man zusätzlich, dass der Betriebsstrom (Dauerbelastung) nur bei etwa 70 % - 100 % des Nennstroms liegen soll, ergibt sich eine sichere Abschaltung erst bei einem Fehlerstrom, der um etwa 280 % (2,8* Betriebsstrom) über dem Betriebsstrom liegen muss. Was in diesem undefinierten Bereich geschieht bzw. geschehen kann zeigt die Praxis. Mit etwas Glück geschieht nichts. Die Sicherung, der Halter, die Leiterbahnen und - vor allem - die zu schützenden Bauteile werden zwar überhitzt, aber die zusätzliche Wärme kann problemlos abgeführt werden. Oder Irgendwann schmilzt irgendetwas durch. Der Brand des Gerätes rückt damit in den Bereich des Möglichen. Das Argument der Sicherungshersteller, dass die Kennlinie im Überlastbereich durch Erwärmung oder Alterung nach links kippt und die Sicherung bereits bei kleineren Strömen abschaltet, ist zwar richtig, beseitigt aber das Problem nicht. Die folgende Grafik zeigt die Kennlinienverschiebung flinker und träger Sicherungen bei erhöhten Umgebungstemperaturen.
Ein Abkippen der Kennlinie verlagert den Problembereich nur zu kleineren Strömen hin. Das Gleiche passiert übrigens auch im Verlauf der Alterung einer Sicherung. Nimmt man die gegebene Exemplarstreuung der Sicherungen und die montagebedingte Streuung der Wärmeableitung hinzu, kann die Sicherheit in dem so bedeutenden Überlastbereich zum Glücksspiel werden. Abhilfe schafft nur eine tiefer gehende Kenntnis über die Funktion der Sicherung allgemein und eine gute Beratung über konstruktive Besonderheiten der gewählten Sicherung. Obwohl durch Normprüfungen vieles auch in diesem Bereich abgedeckt wird (max. Verlustleistung und Erwärmung, Dauertests, usw. ....) haben sie kaum einen Bezug zur vielfältigen Praxis – und können ihn auch nicht haben - schon wegen der vorgeschriebenen Prüfhalter. Diese sind so massiv ausgeführt, sich sich eine optimale Wärmeableitung einstellen kann. Das sichert auf der einen Seite zwar eine anwendungsunabhängige Vergleichbarkeit, aber eben auch auf der anderen Seite nicht-praxisorientierte Prüfergebnisse.
* IFS: Institut für Schadenverhütung und Schadenforschung der öffentlichen Versicherer e.V.