Das Schaltvermögen (oder korrekter "Ausschaltvermögen") definiert eine durch Norm oder Datenblatt spezifizierte Spannung und einen "prospektiven" Strom bei denen ein "zerstörungsfreies Abschalten der Schmelzsicherung" gewährleistet ist.
Zerstörungsfrei bedeutet dabei, dass die Sicherung zum Schutz der Umgebung während des Abschaltens keine externen Lichtbögen erzeugt und keine Metalldämpfe an die umgebenden Schaltungselemente abgibt.
Die Kapselung bzw. das Gehäuse des Schmelzleiters darf daher nach der Prüfung keine Beschädigungen aufweisen. Die Sicherung muss als Ganzes entfernt werden können und alle Beschriftungen (Klartext oder Codierung) müssen lesbar sein, um einen ggf. vorgesehenen Austausch zu ermöglichen. (Näheres hierzu regeln Spezifikationen oder Normen z.B. die DIN IEC 60127 )
Darüber hinaus können wichtige Information für Projekte im F&E-Bereich generiert werden.
Analysen des Abschaltverhaltens (Durchlassstrom, Lichtbogenlöschung, ...) ermöglichen i.d.R. eine Beurteilung der Eignung von Gehäuse, Füllung und Schmelzleiter der Sicherung.
Obwohl sich die Schaltvermögensprüfung auf den Eignungstest einer realisierten Abstimmung von Schmelzleiter, Gehäuse (Kapselung des Schmelzleiters) und Gehäusefüllung bezieht, sind ggf. auch Aussagen durch vergleichende Testreihen der Drahtprüfung möglich. Die unterschiedlichen Eigenschaften der Schmelzleitermaterialien (Leitfähigkeit, Schmelz- und Verdampfungswärme, Plasmaeigenschaften, Ionisierungsenergie, ...) machen solche Testreihen interessant. Obwohl zum Thema „Lichtbogen“ umfangreiche Literatur existiert, sind im Bereich der Technik der Geräte-Schmelzsicherungen dazu keine Untersuchungen bekannt.
Die Prüfung des Ausschaltvermögens
Die Vorgaben für SV-Prüfanlagen und deren Eigenschaften sind in den geltenden Normen beschrieben. In der Praxis werden etwas aufwendigere Prüfaufbauten genutzt:
1 Prinzip Schaltbild Prüfanlage
Da in Datenblättern häufig ein AC-Schaltvermögen angegeben ist wird im folgenden diese Prüfung näher beschrieben.
Die gewählte AC-Prüfspannung wird in der ersten Sinus-Halbwelle der Prüfspannung bei einem vorwählbaren „Winkel“ eingeschaltet.
Die im Einschaltaugenblick anstehende Prüfspannung entspricht dann dem gewählten Einschaltwinkel.
Zum Beispiel: Einschaltwinkel 30°, û =250V* √2 = 353V → u = û · sin(ϕ) = 353* sin(30°) = 353*0,5= 176,5 V
Der Strom im Einschaltaugenblick entspricht dem, durch den Vorwiderstand R voreingestellten prospektiven Strom plus dem Widerstand R1 der zu prüfenden Sicherung.
(Ein induktiver Prüfkreis mit cos ϕ 0,7-0,8 für das Schaltvermögen H führt zu einer Verzögerung des Stromanstiegs.)
Beide Widerstände begrenzen im Abschaltaugenblick den Strom !
3 IK = Kurzschlussstrom (prospektiver Strom) ohne Sicherung
Der Einschaltwinkel hat somit großen Einfluss auf den Einschalt- und Durchlassstrom sowie auf die Schmelzzeit und dem Beginn und die Ausprägung der Lichtbogenphase.
Je nach Prüfanlass werden daher verschiedene Einschaltwinkel eingestellt um die größtmögliche bzw. ungünstigste Belastung des Prüflings zu ermitteln (Prüfmethode A oder B - nach IEC 127-1-9.3).
Das folgende Oszillogramm zeigt einen Abschaltvorgang:
4 Oszillogramm einer Abschaltung
Als Durchlassstrom wird der maximale Strom bezeichnet den die Sicherung bis zum Schmelzen des Schmelzleiters erreicht. Er ergibt sich aus dem Wert, der sich im Einschaltaugenblick entsprechend des Einschaltwinkels einstellt und am Ende der Schmelzphase des Schmelzleiters beim Übergang in die Lichtbogenphase erreicht wird.
Die Schmelzphase bestimmt das Schmelzintegral I2t. Das Löschintegral der Lichtbogenphase wird i.d.R. im Datenblatt nicht angegeben da es in der Praxis stark von den Eigenschaften des Stromkreises abhängig ist. Dennoch ist die Lichtbogenphase für den Ingenieur zur Beurteilung der Eigenschaften des Prüflings von großer Bedeutung.
Der Widerstand des Prüflings ist je nach Stromstufe und Typ der Sicherung sehr unterschiedlich. Die Sicherung wirkt durch den Widerstand des Prüflings „strombegrenzend“! Als Prüfvorgabe wird daher der mögliche „prospektive“ Strom (spätlateinisch prospectivus = zur Aussicht gehörend, möglicherweise zu erwarten, voraussichtlich) ohne Sicherung (der Prüfling wird kurzgeschlossen) angegeben und eingestellt.
Ein vorgegebener Prüfstrom z.B. von 35A AC wird also bei kurzgeschlossenem Prüfling mit dem Vorwiderstand R voreingestellt. (für Sicherungen mit flinker Charakteristik wird häufig auch ein Ausschaltvermögen von 1500 A mit cos. phi 0,7-0,8 angegeben.)
Während der Schmelz- und Lichtbogenphase wird der Prüfling durch Lichtbogen und den entstehenden Metalldampf mit hoher Temperatur und hohem Druck stark belastet.
Die beim Abschmelzen des Schmelzleiters wirksame Energie ist primär über die Stromintegrale (I2t-Werte) der Schmelz- und Lichtbogenphase gut zu ermitteln. Ihre sekundäre Wirkung innerhalb der Sicherung ist i.d.R. nur durch Auswertung der Strom- und Spannungsverläufe im Oszillogramm zu bestimmen. Im Einzelnen können die beiden Phasen des Ausschaltvorgangs wie folgt beschrieben werden:
Schmelzphase und Lichtbogenphase
Die Schmelzphase
Das Schmelzintegral des Schmelzleiters ist bei Abschaltzeiten von t<5ms weitgehend konstant. Je nach Einschaltwinkel kann die Schmelzzeit jedoch variieren. Sie ist aber auch abhängig von der Wärmekapazität der Umgebung und dem Transport der Wärme in das Gehäuse (z.B. Keramik- oder Glasrohr).
Unabhängig von seiner Füllung wird das Gehäuse, z.B. ein Glasrohr, aufgeheizt (wiederum abhängig von der Wärmekapazität des Gehäusematerials) und kann so durch den Dampfdruck des Schmelzleitermaterials zerstört werden.
Die Lichtbogenphase
Die Wirkung der umgesetzten Energie im Lichtbogen ist oder kann erheblich dramatischer sein. Von einem sichtbaren kleinen, harmlosen „Abreißfunken“ bis zur „Explosion“ der Sicherung ist grundsätzlich alles möglich.
Anders als bei Sicherungen aus dem Nieder- und Hochspannungsbereich sind Abschaltvorgänge bei Geräte- und Kleinstsicherungen nur wenig untersucht. Viele „Erkenntnisse“ beruhen daher auf Beobachtung und Erfahrung der Entwickler.
Es ist aber ein Bestreben in der Sicherungsentwicklung die Lichtbogenphase durch eine optimale Abstimmung aller Bauelemente der Sicherung und der Verwendung von geeigneten Bauformen und Schmelzleiter-Metallen zu beherrschen. Metalle die einen hohen Druck in der Verdampfungsphase oder die mit einer geringer Ionisierungsenergie die Lichtbogenentstehung begünstigen, werden daher nicht oder nur in geringen Mengen verwendet (So verdampft z.B. Sn sehr früh und unterstützt damit die Ausbildung eines Lichtbogens schon bei seiner Entstehung. Zudem erzeugt verschiedene Metalle einen hohen Dampfdruck).
Da ein Gehäuse so dicht sein muss, dass keine Metalldämpfe nach außen gelangen dürfen (sog. Ausblasen der Sicherung) muss der Lichtbogen möglichst unterdrückt oder früh gelöscht werden um die Metalldampfmenge gering zu halten.
Es wird versucht, den u.U. bereits am Ende der Schmelzphase entstehenden Dampf so zu verteilen, dass er nicht zu mehr oder weniger zusammenhängenden, leitfähigen Schichten kondensiert und so keine oder möglichst weit auseinanderliegende Fußpunkte für eine Ausbildung des Lichtbogens entstehen.
Luftgefüllte Gehäuse werden auf der Innenseite „bedampft“. Bei sandgefüllten Gehäusen wird der Dampf durch den Sand aufgenommen und im Sand, je nach Dampfdruck und Körnigkeit des Sandes, verteilt.
Dabei ist die Körnung des Füllsands von einiger Bedeutung. Ist sie klein wird der Lichtbogen zwar optimal gekühlt aber es bilden sich eher sog. „Schmelzkanäle“ aus die wiederum die Verteilung behindern andererseits aber durch hohen Druck die Brennspannung des Lichtbogens erhöhen und ihn so eher löschen.
Das folgende Bild zeigt einen Schmelzkanal im Querschnitt:
Das Schmelzleitermaterial
Aus dem bisher beschriebenen wird deutlich, dass das Zusammenspiel von Schmelzleitermaterial und Masse sowie Gehäuse und Füllung nur in Versuchsreihen ermittelt und optimiert werden kann.
Den Eigenschaften des Schmelzleitermaterials kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Die Untersuchung des „Abbrennverhaltens“ eines Schmelzleitermaterials kann daher in Testreihen zu aufschlussreichen Erkenntnissen führen. Ergebnisse solcher Untersuchungen sind aber bis jetzt noch nicht bekannt.
Als objektive Bewertungsmerkmale sind bei AC-Abschaltungen die Ausprägung des Lichtbogens, der Zeitpunkt seine Löschung (im oder vor dem Spannungsnulldurchgang) sowie der Isolationswiderstand (nach IEC-Norm bei 2UN gemessen R>100kΩ). Er gibt z.B. Auskunft darüber ob ggf. mit einer Rückzündung des Lichtbogens in den folgenden Spannungshalbwellen zu rechnen ist. Da mögliche Rückzündungen des Lichtbogens i.d.R. zu einer vollständigen Zerstörung der Sicherung führen (Explosion) bleibt, als letzte Sicherheit, die Prüfspannung für 30s eingeschaltet.
Das folgende Bild zeigt eine Abschaltung mit einer ausgeprägten Lichtbogenphase die jedoch noch vor dem Spannungsnulldurchgang beendet wird.
6 Abschaltung mit kurzer "Rückzündung"
Der Test würde dem Diagramm nach bestanden sein, aber die energiereiche Lichtbogenphase und die geringe Brennspannung im Augenblick der Lichtbogenlöschung würde einen rel. kleinen Isolationswiderstand erwarten lassen.
Die Auswertung der Brennspannung im Augenblick des Verlöschens des Lichtbogens ist ein wichtiges Detail der Analyse. Der kurze Stromanstieg in der Löschphase weist auf eine kurze „Rückzündung“ hin. Dieser kurze Stromanstieg lässt Rückschlüsse auf eine mögliche Ausfallwahrscheinlichkeit der Sicherungskonstruktion zu
Die Auswertung des gezeigten Oszillogramms legt daher eine Erweiterung der Testreihe nahe und ggf. die Konstruktion bzw. die verwendeten Materialien zu optimieren.
Das Ausschaltvermögen bei Gleichspannung (DC)
In vielen Bereichen der Elektrotechnik und Elektronik wird als Betriebsspannung häufig Gleichspannung verwendet, wobei Spannungen von beispielsweise 400V DC vorkommen können. Daher ist auch das Ausschaltverhalten von großer Bedeutung.
Grundsätzlich gelten dieselben Anforderungen wie bei AC-Spannungen: Die Sicherung darf im Fehlerfall ihre Umgebung nicht gefährden. Allerdings gestaltet sich das Abschalten durch den Schmelzleiter bei Gleichspannungen deutlich schwieriger, da der "Hilfeeffekt" des Spannungsnulldurchgangs, wie bei Wechselspannungen, fehlt. Die Betriebsspannung bleibt über der Trennstelle am Schmelzleiter bestehen. Um einen Lichtbogen zu verhindern oder frühzeitig zu löschen, sind in der Sicherung oft aufwendige konstruktive Maßnahmen erforderlich, wie zum Beispiel eine ausreichende Trennstrecke, Löschsand oder Löschkammern und weitere Lösungen.
Die Prüfung des Ausschaltvermögens ist in der Norm IEC 60127-10/7 beschrieben. Als generelle Vorgabe werden Akkumulatoren als Spannungsquelle vorgegeben. Bei nicht ohmschen Schaltkreisen wird eine Zeitkonstante τ von 2ms für kapazitive und 4ms für induktive Schaltkreise gefordert.
Bei hohen DC-Schaltvermögen im kA-Bereich wird, neben der Strombegrenzung durch die Sicherung, eine sehr schnelle Abschaltung (geringe Durchlassströme) angenommen. Der Aufwand für einen Prüfkreis ist in der Regel sehr hoch. Daher werden die notwendigen Prüfungen meistens durch geeignete externe Prüflabore durchgeführt.
Die Ausführungen zeigen, dass die Themen „Ausschaltvermögen“ und „Lichtbogen“ sehr komplex sind und eine tiefer gehende Betrachtung den Rahmen sprengen würde.
Aber für weitere Informationen oder Beratung können Sie gerne die auf dieser Seite angegebenen Kontakte nutzen.
Quelle der Beitragsbilder: Wickmann-Archiv, Manfred Rupalla