Die Zeit-Strom-Kennlinie (t-I-Kennlinie) ist eine wichtige, zentrale Information über das Schaltverhalten einer Schmelzsicherung. Sie gibt Auskunft darüber, wann das Schmelzelement des Sicherheitsbauteils einen, für die Applikation gefährlichen, Überstrom unterbricht. Der Zusammenhang von Schaltzeit und Strom wird in Datenblättern durch punktuelle Zeit-Strom-Werte [P(t,I)] angegeben. Diese werden übersichtlich in der Form eines Zeit-Strom-Diagramms grafisch dargestellt.
Je nach Bedarf wird dabei auf der X-Achse das Verhältnis Belastungsstrom zu einem bekannten Nennstrom (I/IN) oder der Belastungsstrom I in [A] angegeben. Die Y-Achse definiert die Schaltzeit, allgemein in Sekunden skaliert. Beide Achsen werden wegen des großen Wertebereichs log. unterteilt.
Wie wird eine t-I-Kennlinie ermittelt
Die notwendigen Messpunkte der t-I-Kennlinie werden durch Belasten der Sicherung mit verschiedenen Strömen und der Messung der jeweiligen Zeit bis zum Trennen des Schmelzelementes ermittelt. Die Messpunkte P(I,t) werden in das Diagramm übernommen und verbunden.
Das liest sich einfach, ist es aber nicht. Für die korrekte Messung müssen einige Bedingungen erfüllt werden. Belastet wird mit einem konstanten Gleichstrom, die Kontaktierung erfolgt mit einem Halter, dessen Material und Abmessung festgelegt ist. Die Zeit wird als reine Schmelzzeit ohne den Anteil eines ggf. auftretenden Abreißlichtbogens übernommen. Hierbei sind einige der gegebenen Messbedingungen zu erwähnen.
Wegen der Messwertstreuung der Prüfanlage sowie die gegebene Exemplarstreuung der Prüfmuster wird in der Regel ein gemittelter Graph eingezeichnet.
Die Darstellung der Zeit t über dem Strom I findet man häufig, wenn in einem Diagramm mehrere Kennlinien verschiedener Stromstärken einer Sicherungsreihe zur Auswahl gestellt werden. Für den Anwender ist dies eine einfache Hilfe die passende Sicherung zu finden.
Zeit-Strom-Kennlinie, -Charakteristik und Nennstrom
In der Regel werden Sicherungen für eine bestimmte Charakteristik des gewählten Standards entwickelt.
Es kann allgemein in drei standardisierte Abschaltverhalten unterteilt werden: F (Flink), M (Mittelträge), und T (Träge). Zusätzlich existieren die Charakteristiken FF (superflink) und TT (superträge) sowie für kundenspezifische Anwendungen Sondercharakteristiken. Die Darstellung der Charakteristik im Diagramm erfolgt als der Zeit t in Abhängigkeit von dem Verhältnis Abschaltstrom zu Nennstrom (I/IN).
Der Nennstrom einer Sicherung wird durch die Einhaltung der im Standard vorgegebenen Grenzwerte für Zeit und die Relation (I/IN) definiert. Die folgenden Beispiele einer Nennstromdefinition nach den Standards IEC 60127 und UL 248 machen das deutlich.
Nach Norm ist der Nennstrom In einer Sicherung bestätigt, wenn die gemessene Zeit-Strom-Kennlinie innerhalb der durch die Norm vorgegebenen Grenzen verläuft! Die genaue Lage der Kennlinie innerhalb der Norm-Grenzen ist nicht definiert! (Quelle: Wickmann – Fuseology)
Welchen Nennstrom eine Sicherung einer gegebenen Auslegung hat wird durch den gewählten Standard definiert. Ein Nennstrom einer existenten Basis-Kennlinie kann in Nennströme verschiedener Standards umgerechnet werden.
Abhängig von den unterschiedlichen Nennstromdefinitionen der Standards gemäß IEC und UL lässt sich pauschal folgender Berechnungscode nutzen.
IN (IEC )* 1,35 ≈ IN (UL)
Um eine Einschätzung einer Definitionsunschärfe eines ausgewiesenen Nennstroms zu ermöglichen wird in Einzelfällen eine, die Exemplarstreuung der Sicherung berücksichtigende, min/max-Hüllkurve der Kennlinie gezeigt.
Eine Kennlinie – drei Bereiche
Das Abschalten einer Sicherung ist ein rel. komplexer Vorgang. Grundsätzlich lässt sich eine Zeit-Strom-Kennlinie jedoch in drei sehr unterschiedliche Bereiche gliedern.
Der Bereich 3 - sehr kurzer Abschaltzeiten (Kurzschluss).
Dieser Kennlinienabschnitt markiert den „adiabatischen“ Bereich des Abschaltvorgangs. Als adiabatisch wird eine Zustandsänderung bezeichnet bei der keine Wärme an die Umgebung abgegeben wird. Das bedeutet, dass die, durch den Strom erzeugte Wärme vollständig zum Schmelzen des Schmelzleiters wirksam ist.
[Eine adiabatische oder adiabate Zustandsänderung ist ein thermodynamischer Vorgang, bei dem ein System von einem Zustand in einen anderen überführt wird, ohne Wärme mit seiner Umgebung auszutauschen. In diesem Sinne werden adiabat und „wärmedicht“ synonym verwendet. Wikipedia]
Bezogen auf eine träge Charakteristik betrifft das z.B. alle Abschaltzeiten in diesem Bereich unterhalb von etwa t<10 ms. Die Schmelzenergie (I2t-Wert) ist konstant und ausschließlich vom Material und der Abmessung des Schmelzelementes bestimmt.
Der mittlere Bereich 2 - der Kennlinie
In diesem Kennlinienteil machen sich erste Wärmeverluste bemerkbar. Die erzeugte Stromwärme wird teilweise in Umgebung, Kontakte und Halter abgegeben. Das führt zu einer Verlängerung der Abschaltzeiten, da die verbleibende Stromwärme erst bis zur Schmelzwärme akkumuliert werden muss. Der zusätzliche Zeitbedarf wird umso größer, je mehr sich Stromwärme und Wärmeverluste annähern.
Der Überstrom- oder „Langzeitbereich“ 1 - der Kennlinie
Der Abstand zwischen Stromwärme und Wärmeverlusten wird deutlich geringer und die Abschaltzeiten damit länger. Mit einer abnehmend erzeugten Stromwärme wird schließlich ein Wärmegleichgewicht erreicht. Der Belastungsstrom im Wärmegleichgewicht wir als „Grenzstrom“ bezeichnet. Ein eher theoretischer Wert der für die Entwicklung von Schmelzsicherungen zwar wichtige aber oft nur für den Fachmann von Bedeutung ist. Der Grenzstrom markiert die Trennung der Bereiche zwischen aktiver Wärmeakkumulation bis zum Schmelzen des Schmelzelementes Wärmeerzeugung>Wärmeverluste (Qzu>Qab) und der einfachen Erwärmung Wärmeerzeugung<Wärmeverluste (Qzu<Qab).
Auch wenn unterhalb des Grenzstromes kein unmittelbares Schmelzen des Schmelzelementes zu erwarten ist bewirkt die entstehende Wärme eine, je nach Wärmemenge, signifikante Alterung des Schmelzleiters bzw. der Sicherung. Das trifft besonders auf alle Schmelzleiter zu die aus mehreren, unterschiedlichen Metallen bestehen (z.B. bei Sicherungen mit „träger“ Charakteristik).
Der Vorgang der Alterung folgt dabei einer anderen Gesetzmäßigkeit als der Schmelzprozess.
In der Nähe des Grenzstromes wirken sich veränderte oder variierende Bedingungen des Erwärmungsprozesses sehr stark auf das Verhalten der Sicherung aus. Wenn es zum Abschalten der Sicherung kommt nimmt die Streuung der Abschaltzeiten stark zu je näher der Erwärmungsprozess dem Grenzstrom kommt.
Zeit-Strom-Kennlinien – womit man rechnen kann
Es wäre natürlich für alle beteiligten, für Entwickler und Anwender eine große Erleichterung, wenn Zeit-Strom-Kennlinien theoretisch berechnet werden könnten.
An diesem Thema haben sich bereits viele Fachleute und Spezialisten, vom Studenten bis zum Professor versucht. Bisher waren viele überrascht wie Komplex die physikalische Grundlage einer t-I-Kennlinie ist. Sie in mathematische Formen zu gießen ist, nach meiner Kenntnis, bisher nur im Ansatz gelungen. Grund genug sich in diesem Beitrag auf allgemeine Erklärungen und, für interessierte Leser, auf weiterführende Literatur zu verweisen.
Bisher sind nur wenige Ansätze erfolgreich gewesen und in ihren Möglichkeiten auch nur begrenzt einsetzbar. Im Folgenden werden gebräuchliche Berechnungsansätze vorgestellt.
Berechnung des adiabatischen Bereichs I2t=konstant
Im adiabatischen Kennlinienbereich ist die Wirkung der zugeführten Energie (Stromwärme) allein von den spez. Werkstoffeigenschaften (el. Widerstand, Wärmewiderstand, Wärmekapazität, Schmelzwärme und -temperatur,……) und vom Volumens des Schmelzleiters abhängig. Für einige Materialien wurden diese spez. Eigenschaften bereits als Material-Konstanten zusammengefasst. Der errechnete Wert ist als „Meyer-Konstante“ C bekannt (G. Meyer, 1906). Zusammen mit dem Durchmesser des Schmelzleiterdrahtes lassen sich nach dieser Formel die Schmelzenergie und daraus Kennlinienpunkte errechnen.
Berechnung der t-I-Kennlinie bei zunehmenden Wärmeverlusten
Mit dem Verlassen der adiabatischen Kennlinie ist diese Methode allerdings nicht mehr brauchbar. U.a. macht sich die Erhöhung der Wärmekapazität des Schmelzleiters zunehmend durch längere Abschaltzeiten bemerkbar.
In einer weiteren Berechnungsmethode der t-I-Kennlinie wird dieses berücksichtigt. Das macht dann aber eine Differenzialgleichung erster Ordnung notwendig.
Die Berechnungen der dargestellten Kennlinien wurden für einen reinen, nicht beschichteten Ag-Draht durchgeführt. Werkstofflegierungen oder der Einfluss von Ausgleichsvorgängen zwischen verschiedenen Beschichtungen (z.B. Diffusion, chemische Reaktion u.a.) wurden bzw. konnten nicht berücksichtigt werden. Da zusätzlich auch die spez. Wärmeeigenschaften der Kontaktierung, des Halters und der Umgebung in der Regel unbekannt sind, sie aber mit kleiner werdender, erzeugter Stromwärme zunehmend Einfluss bekommen sind auch dieser Berechnungsmöglichkeit Grenzen gesetzt. Je nach Sicherungstyp ist die Berechnung von Kennlinienpunkten bei t>10 s mit ausreichender Genauigkeit nicht mehr sinnvoll.