Mit der Verfügbarkeit von Radioempfängern für die Masse der Bevölkerung wurden Schmelzsicherungen kleiner Baugrößen und kleiner Stromstufen notwendig. Die Firma Wickmann erfand vermutlich die „Feinsicherung“, so wie wir sie heute noch kennen – ein 20 mm langes Glas- oder Keramikrohr mit 5 mm Durchmesser und mit zwei Metallkappen als Kontakte an den Enden.

Ein Problem waren allerdings die hohen Einschaltströme der Verbraucher. Die Glühdrähte der Röhrenheizung, die Sieb-Kondensatoren der Gleichrichterschaltungen und andere Bauelemente nahmen (nehmen) in den ersten Millisekunden nach dem Einschalten hohe Ströme auf, die z.T. das 10-Fache ihres Dauerbelastungsstroms betragen konnten. Ein einfacher Schmelzleiter, wie er bis etwa 1920 für Sicherungen zum Einsatz kam, würde bei jedem (oder fast jedem) Einschalten des Verbrauchers durchschmelzen. Gebraucht wurden Sicherungen bzw. Schmelzleiter, die in diesem Kurzzeitbereich des Einschaltstromstoßes noch nicht abschalteten und dennoch einen geringen Nennstrom haben, um so noch einen gewissen Überlastschutz zu gewährleisten, eben „Träge Sicherungen“.

Dr. Ing. Georg J. Meyer hatte sich bereits 1906 ausgiebig mit der „Trägheit“ verschiedener Schmelzleitermaterialien beschäftigt. In seinen Schmelzversuchen untersuchte er die Trägheit von Kupfer, Silber, Zink, Zinn sowie verschiedene Legierungen. Als Maß für die Trägheit definierte er das Verhältnis von „Grenzstrom“ (dem höchsten Strom, der noch nicht zum Abschmelzen des Drahtes führt) und dem „Kurzschlussfaktor“ (I2t-Wert). Wobei die Bestimmung des Kurzschlussfaktors im Abschaltzeitbereich von etwa 50 ms durchgeführt wurde. Ziel war allerdings nicht die Beherrschung der Einschaltströme (was bei Grenzströmen von Ig > 10 A wohl auch nicht das Problem war), sondern die Senkung der Betriebstemperatur in Belastungsbereichen bis zum Grenzstrom. Bereits in einem Aufsatz von Feldmann aus dem Jahr 1892 wird beschrieben, dass eine hohe Betriebstemperatur des Schmelzleiters zu starken Oxidationen des Metalls führt (bei Cu z.B. bereits bei ca. 500 °C). Verschiedene Versuche mit metallischen Überzügen aus Ni, Ag oder Sn verhinderten die Hochtemperaturoxidation.

Die Lösung, hohe Temperaturen im Betriebsbereich bis zum Grenzstrom zu vermeiden, ohne den Kurzschlussfaktor zu senken, wurde erst 1950 von H. W. Baxter beschrieben. Er experimentierte mit verschiedenen Schmelzleitervarianten und beschrieb den Effekt der Auflösung von Silber in flüssigem Zinn, der sogenannte M-Effekt. So kann durch ein Zinnreservoir auf einen massiven Ag- oder Cu-Schmelzleiter der Grenzstrom erheblich gesenkt werden, ohne den Kurzschlussfaktor zu reduzieren.

schmelzleiter baxter

Für Sicherungen im Hochstrombereich (IN > 1 A) war damit der „träge“ Schmelzleiter beschrieben. Wie Wickmannkataloge zeigen, wurde diese Konstruktion mit Sn-Reservoir bereits seit etwa 1934 eingesetzt, eine frühere Beschreibung der Funktion des Zinns ist jedoch nicht bekannt. Varianten mit Sn/Pb-Alternativen wie amphoterer Elemente (beschrieben in einem österreichischen Patent von 1955) oder exotherm reagierenden Materialien (schweizer Patent von 1954) konnten sich nicht durchsetzen.

Die zunehmende Verbreitung und Weiterentwicklung der Radiogeräte machte aber „Feinsicherungen“ kleiner Nennströme (Nennstrom etwa 70-90 % des Grenzstroms, je nach Normung) mit träger Abschaltcharakteristik notwendig. Eine vom Grundprinzip ähnliche Lösung: Heizspirale bringt Lot zum Schmelzen, zeigt bereits der Wickmannkatalog von 1931 (siehe oben). Baxter beschreibt jedoch eine Lösung, deren Grundprinzip später auch bei Schichtsicherungen von großer Bedeutung wird.

grundprinzip schichtsicherungDie Konstruktion sieht kompliziert aus, was aber zu dieser Zeit nichts Besonderes war. Wickmann-Zeichnungen aus dem Jahr 1932 zeigen Sicherungskonstruktionen, die dem Gezeigten in nichts nachstanden

Die Methode, einen massiven Schmelzleiter mit hohem I2t-Wert (I2t-Wert = Kurzschlussfaktor) bei kleinen Belastungsströmen durch Sn-Diffusion bereits zum Abschalten anzuregen, wurde in den folgenden Jahrzehnten mehrfach variiert und ist auch aktuell noch in verschiedenen Varianten zu finden.

Einen wirklichen Fortschritt in der Entwicklung träger Schmelzleiter wurde erst etwa 1974 durch zwei Patente („Herstellung von Wickelschmelzleitern“ und „Wickelschmelzleiter“) von Geradus J. Deelman, Entwicklungsleiter bei der Firma Olvis aus den Niederlanden, erreicht. Soweit vorliegende Unterlagen es dokumentieren, wurde in den Patenten erstmals die gezielte Diffusion von Sn oder Sn/Pb in Ag oder Cu zur Nenn- bzw. Grenzstromabsenkung gezeigt. Damit war die Möglichkeit gegeben, rel. massive Schmelzleiterdrähte mit hohem I2t- Wert einzusetzen und damit eine relativ große Trägheit erreicht.

zinnperlen

Die Zeichnung zeigt einen auf einen Kern (in diesem Fall ein Isoliermaterial) gewickelten Schmelzleiterdraht. Zur Grenzstromabsenkung sind Sn oder Sn/Pb-Perlen aufgebracht. Die Größe und Position der Perlen ist auf das Schmelzleitermaterial und den Nennstrom der Sicherung abgestimmt.

Die Firma Wickmann perfektionierte die Konstruktion u.a. dadurch, dass keine Sn-Perlen sondern eine galv. Sn-Beschichtung des Schmelzleiterdrahtes entwickelt wurde. Die Diffusionsmechanismen und das Temperaturverhalten der Drahtmaterialien (z.B. die temp.- bedingte Grobkornbildung bei Ag) wurden umfangreich untersucht und für die Praxis weiterentwickelt.

Der träge, miniaturisierbare Schmelzleiter war damit erfunden.